Hi Leute,

was man im Moment über die Novellierung des Jugendmediendienststaatsvertrags lesen kann (z.B. hier und hier bei heise.de), läßt mich schlimmes für die Zukunft des "Internet" in Deutschland befürchten.

Da haben die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen, dass jeder "Anbieter" seine Webseiten nach den im Filmbereich bekannten Altersfreigaben klassifizieren muss und diese Klassifizierung "maschinenlesbar" bereitstellen muss.

In der Praxis soll das wohl durch einen Meta-Tag geschehen - aber wie genau weiß das noch keiner. Und das bei einem Vertrag, der Strafen für die Nichtbeachtung enthält und der in 4 Wochen in Kraft tritt!

Mal wieder ein typisches Beispiel für "gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht".

Da haben wohl mal wieder "Experten" dran gearbeitet, die nicht allzu sehr mit dem Internet vertraut sind. Abgesehen davon, gab es für verschiedene Inhalte (z.B. Seiten mit pornografischem Material) auch bisher schon Zugangsbeschränkungen. Und die Betreiber von Webseiten im Ausland dürften sich auch nur wenig um deutsches Gutgemeintes kümmern. Stattdessen wird im Rahmen der, von RTL und anderen interessierten Kreisen geschürten, "Schützt unsere Kinder"-Hysterie wieder dasselbe mit dem Bade ausgeschüttet.
Völlig absurd wird es, wenn Nachrichtenseiten ausgenommen werden oder Seiten an denen ein „berechtigtes Interesse“ besteht. D.h. die BILD-Zeitung ist davon wohl freigestellt. Klar, den Schund kann man ja eh an jedem Kiosk kaufen - ohne jede Alterskontrolle. Aber der örtliche Tierschutzverein muss jetzt halt gucken, dass eventuell brutale Bilder von gequälten Tieren auch schön gekennzeichnet sind.
Na ja, und die Kids müssen halt mal 5 Minuten Freizeit aufwenden, um die Websperren, die ihre (in PC-Dingen zu 90% unbedarten) Eltern installiert haben zu umgehen.

Hier ist übrigens noch ein sehr interessanter Artikel zum neuen JMStV.

Interessant.

Noch interessanter ist aber, dass der Verfasser (Anwalt, der sich mit Interrecht auskennt) an einigen Stellen (vermeintlich) falsche Angaben macht und diese von einem Kommentartor im Blog korregiert werden...

Wenn also selbst Leute, die sich beruflich damit beschäftigen, nicht wissen, welche Konsequenzen sich aus dem Staatsvertrag ergeben, dann ist das schon traurig.

Gab es in der Auge nicht mal eine AG Recht?
Oder gibt es hier noch aktive Rechtsanwälte? Das wäre jetzt mal ein guter Zeitpunkt sich zu melden und dem Verein zu helfen Kompetenz zu zeigen.

Denn betroffen ist JEDER, der eine Webseite betreibt. Sei es nun kommerziell oder rein privat. Egal ob er Kinder hat oder nicht!

Ciao

dirk

Wenn man mehrere Quellen dazu list, bekommt man ganz schnell den Einsruck, dass nicht mal die, die dieses Gesetz zu verantworten haben, genau wissen, was das für den Einzelnen bedeutet. Sonst würden sie so einen Schwachsinn auch gar nicht erst verabschieden. Diverse kleinere Blogs und andere Seiten kriegen jedenfalls schon Panik und wollen ihre Auftritte dicht machen. Man könnte ja darauf hoffen, unbemerkt durch die Maschen zu fallen, aber das Risiko einer teuren Abmahnungen wollen viele nicht eingehen. Ob die Panik jetzt gerechtfertigt ist oder nicht, ist momentan etwas schwer abzusehen. Hier hab ich noch einen interessanten Beitrag aus dem privaten Blog eines Juristen.

Soweit ich das verstehe, muss es erst einmal die ersten Abmahnungen geben und das daran anschließende Verfahren, bevor Klarheit herrscht.

Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass am Schluss die Kennzeichnugnspflicht tatsächlich nur für diejenigen gilt, die "jugendgefährdende" Inhalte veröffentlichen. Eine Programmvorschau auf das zu Guttenbergsche Fernsehevent bei RTLDings gehört möglicherweise dazu ...

Wichtiger ist, dass möglicherweise ab ca. Mitte des Jahres auch die Technik zum Gesetz geliefert worden sein soll: Bisher gibt es technisch noch keine Möglichkeit, eine Webseite zu kennzeichnen, es bleibt vorerst eine "moralische" Tat. Sobald die Technik entwickelt wurde, soll die Kennzeichnung ja bewirken, dass geschützte Rechner ungekennzeichnete Seiten nicht aufrufen können. Alleine deswegen wird es hier für Geschäftsleute interessant.

Der Jugendschutzbeauftragte, der im Impressum stehen muss, ist auch noch so ein Punkt. Man kann nicht seinen Dackel eintragen (der vielleicht ein prima Kinderschänderankläffer ist), sondern braucht jemanden, der "qualifiziert" ist. Was das bedeutet, kann auch noch niemand so recht sagen.

Ich denke, das Ganze wird nochmal durch den Europäischen Gerichtshof gehen, sobald es tatsächlich greift. Schließlich ist es (für kommerzielle Webseitenbetreiber) klar ein Eingriff ins Wettbewerbsrecht, wenn der britische, belgische oder polnische Kinderschänder pornografisches oder gewaltverherrlichendes Material (Spielzeugpistolen, Hamilton-Kalender) in seinem Onlineshop vertickern darf, der deutsche aber nicht, ja der deutsche Shop noch nicht einmal auf der Bildfläche erscheint.

Wie wenig Überblick die Politik über "das Internet" haben, habe ich beim Netzpolitischen Kongress der Grünen vor gut zwei Wochen in Berlin feststellen können. Bisher haben sie irgendwie das Internet als Gesamtgebilde, das mittlerweile mehr beinhaltet als shoppen und informieren, noch nicht verstanden. Dass das Internet z.B. schon längst ein Arbeitsmedium ist (und deswegen Restriktionen dieser Art einfach eine Arbeitserschwernis), ist noch nicht angekommen. Mal abgesehen davon, dass unsere Verfahren zum Anschieben von Gesetzen so lange dauern, dass diese technisch und sachlich veraltet sind , bis sie in Kraft treten.

Mehrere Medien (spiegel online, heise), berichten darüber, dass neben den Fraktionen von CDU und FDP auch SPD und Grüne bei der morgigen Abstimmung im Landtag von Nordrhein Westfalen über die Ratifizierung des JMStV GEGEN die Ratifizierung stimmen werden.

Damit ist die Änderung zum 1.1. wohl vom Tisch...

Na das wären ja ausnahmsweise mal gute Nachrichten. Sollte in der Politik plötzlich die Vernunft siegen? :eek:

Wäre gut, wenn es gekippt wäre. Mit meinem Kochblog war ich schon in höchster Not: FSK 6, weil ich keine Rezepte für Babynahrung auf der Seite habe? Oder FSK 18, weil auch Weine verkostet werden? Sind alle Rezepte seniorentauglich (wäre das dann FSK 120 oder FSK <70?)?

Nein, Scherz beiseite. Es bleibt abzuwarten, wie entschieden wird und welche Auswirkungen das hat. Ein weiteres Gesetz aus Schilda. Ich glaube, wir Deutschen können das immer noch besser als die EU.